Sanft schweben

Ich habe das Glück meine Winterreifen für unser Auto in einer kleinen Garage auf einem Bauernhof inmitten wunderbarer Landschaft montieren lassen zu können. In dieser Zeit der Montage habe ich am letzten Freitag einen erholsamen Waldspaziergang gemacht. Es war Hochnebel und die Sonne kam nicht wirklich durch, aber beinahe hätte sie es geschafft. Es kam mir in den Sinn, dass wir in unserem Leben manchmal auch eine Art Nebel (Leben rückwärts geschrieben, fällt mir grade auf) haben, der uns die klare Sicht in die Weite versperrt. Doch ich kann mich jederzeit an nahen Formen der Natur erfreuen, was mich von innen heraus glücklich macht. Ich konnte die vielen farbigen Laubbäume und dazwischen die dunkelgrünen Tannen beobachten, die sich teilweise fast zu umarmen schienen. Vögel hüpften im Laub herum. Eine wunderschöne grosse Rotkleeblüte fiel mir auf. Am besten aber gefiel mir das Fallen der Blätter. Die federleichten Blätter schwebten von einem leichten Wind bewegt ganz sanft auf den Boden. Fast habe ich es mit meinem iPhone filmen wollen, aber es lässt sich halt nicht alles festhalten. Es war ein magischer Moment. Loslassen und einfach nur SEIN. Dann kam wieder ein Gedanke. Gibt es nicht ein Gedicht von Rainer Maria Rilke über das Fallen der Blätter?

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Die Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
Unendlich sanft in seinen Händen hält.

Heute sind wir schnell nach Vevey am Genfersee gefahren mit dem GA, weil wir etwas abholen mussten, das nicht per Post geschickt werden konnte. Ich durfte wieder einmal Zug fahren und lesen, was mir ja so gut gefällt (übrigens lesen viele Leute im Zug, es ist gar nicht so, dass alle an ihren Handys rumdrücken). Ich konnte das Buch von Eveline Hasler „Mit dem letzten Schiff, Der gefährliche Auftrag von Varian Fry“ auf dieser Reise von Anfang bis Ende lesen und dabei auch die vorüberziehende Landschaft geniessen. Varian Fry rettete unter Einsatz seines Lebens fast 2000 Menschen, vor allem Künstler und Intellektuelle, vor den Nazis. Er war Amerikaner und sollte im Auftrag des Emergency Rescue Comittee eigentlich nur 200 berühmte Menschen retten. Er sah aber die Not und tat eigentlich viel mehr als ihm erlaubt war. Varian Fry arbeitete mit einem Team zusammen und beschäftigte auch einen 15-jährigen Botenjungen Justus Rosenberg. Dieser Junge konnte sich während des ganzen Krieges in Frankreich versteckt halten und ist erst nach dem Krieg nach USA ausgewandert. Eveline Hasler konnte Professor Justus Rosenberg in New York wiederfinden und hat von ihm Auskünfte aus erster Hand erhalten.

Was ich am Buch von Eveline Hasler bemerkenswert finde, dass sie in all dem Leid auch hoffnungsvolle Momente beschreibt. Es sind Menschen, die sich begegnen und einander helfen. Varian Fry ist auch gerne in der Natur und ein begnadeter Vogelbeobachter.

Wenn ich schon wieder beim Thema Natur gelandet bin, möchte ich unbedingt noch den Kinofilm „Schellenursli“ empfehlen. Ich finde ihn einfach grossartig. Die Geschichte des Bilderbuches ist auf eine gute Art und Weise erweitert worden und sehr spannend. Einige Bilder und Zeichnungen von Alois Carigiet erkennt man im Film wieder. Der Bezug zur ursprünglichen Geschichte ist klar gegeben. Alle Schauspieler spielen mit grosser Hingabe, vor allem auch die Kinder.

Geniesst den Herbst, die farbig fallenden Blätter, die Sonne und den Nebel, auch die warme Stube und ein gutes Buch.

2 Gedanken zu „Sanft schweben

  1. Monika Neidhart

    Liebe Rosmarie
    aus irgendeinem Grund ist Dein Blog im Spam gelandet. Zufällig sehe ich das jetzt.
    Nun doch noch eine kleine Zeile: Herzlichen Dank für das schöne Gedicht.( Ich habe es mir kopiert. Ich mag Rilke sehr gern.) Es ist unheimlich tröstlich und auf eine Art „heimelig“.
    Ganz lieben Gruss
    Monika

    1. Margrit

      Liebe Rosmarie
      Deine spannende Erzählung hielt sich auch bei mir irgendwo versteckt. Jetzt ist sie zum Glück zum Vorschein gekommen.
      Das Gedicht , das habe ich auch sehr gerne. Es ist so etwas tröstliches enthalten, nebst dem fast traurigen.
      Die goldigen Herbsttage sind einfach wundervoll. Die Temperaturen sind ja eher frühlingshaft. Aber eben das Kahlerwerden der Bäume, das Fallen der Blätter zeigt uns, dass halt doch der Herbst Einzug hält.
      Ich freue mich für dich, dass du immer etwa wieder Zeit zum Lesen findest. Du entdeckst auch immer spannende Bücher.
      Ich bin im Moment am Lesen von : Der Traum ( eine Geschichte vom Himmel, die das Herz heilt) Ein Mann verarbeitet den Tod seiner Mutter, seines besten Freundes und seiner kleinen Tochter. Das Buch enthält auch sehr viel Trostvolles.
      Gestern war ich mit meiner Schwester im Kino , und wir sahen den Film vom
      Schellenursli. Wirklich eindrücklich, wie das Leben in den Bergen halt beschwerlich war. Wie Ursli sich über die Orange freute. Wie die Armut das Leben prägte.Die Szenen mit dem Wolf. Auch viel Trauriges, und doch hat am Schluss die Wahrheit gesiegt. Nebst der eigentlich traurigen Geschichte, hatte es doch auch immer wieder Humorvolles dabei. Der Film ist wirklich zu empfehlen.
      Nun noch etwas zum Nebel ( Leben ) das ist mir noch gar nie aufgefallen. Hier am See haben wir jetzt oft Nebel, vor allem am Morgen. Aus dem Küchenfenster kann ich die jeweils geheimnisvollen Nebelschwaden beobachten. Immer schön zu sehen, wie die Sonne den Nebel verdrängt mit ihren Strahlen. Meistens schafft sie das , mal schneller , mal langsamer. Bis zum Mittag gelingt es ihr aber fast immer. Ab und zu bleibt halt der Nebel einen ganzen Tag lang. Da ist es auch tröstlich zu wissen, dass die Sonne doch da ist, auch wenn wir sie nicht sehen.
      Eigentlich habe ich den Nebel nicht ungern. Nur wenn ich mit dem Auto unterwegs bin, dann bin ich schon froh um klare Sicht. Da kann mir der Nebel richtig Angst machen.
      Liebe Rosmarie, ich wünsche dir weiterhin immer wieder freie Stunden zum Lesen, Wandern und Erholen. Für Christian gutes Einleben ins Pensioniertendasein. Euch beiden viel Spannendes zu entdecken in der neuen Lebensphase.
      Liebe Grüsse
      Margrit

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