Im Moment sitze ich «in Quarantäne» in unserem Garten. Heute geht es mir gut, gestern hatte ich Krise. Ein feiner Wind weht durch den Garten und es schneit rosa Blüten von unserem japanischen Kirschbaum, den mir mein Vater vor 20 Jahren in einem Topf als Geschenk mitgebracht hat. Jetzt ist der Baum etwa 20 mal so gross und muss immer wieder geschnitten werden.
Ich mag die Farbe Rosa. Sie tut mir im Moment gut. Aus Neugier google ich was die Farbe Rosa bedeutet. Ich lese: «Das Weiss mildert die Eigenschaften des Rot: Rot ist Leidenschaft. Rosa ist Zärtlichkeit. Rot ist Energie. Rosa ist Sinnlichkeit. Rosa ist sanft, wirkt schützend und drückt Ordnung aus. Die Farbe Rosa wird bei körperlichen und seelischen Schocks eingesetzt, da sie Sicherheit vermittelt».
Die rosa Blüten wirbeln immer noch um mich herum und ich muss an meinen Vater denken. Er hat sozusagen für die rosa Blüten vorgesorgt, damit sie (wenn er schön längst nicht mehr lebt) mich aus einem Schockzustand befreien können. Mein Vater war der grösste Romantiker, den man sich vorstellen kann. Wollt ihr mal hören wie sich mein Vater und meine Mutter kennengelernt haben?
Im Frühling 1955 kannten sich die beiden noch nicht und hatten beide vor kurzem eine neue Stelle in Zürich angetreten. Mein Vater war Buchhalter und meine Mutter war Sekretärin. Sie haben sich aber nicht praktischerweise am Arbeitsplatz kennengelernt wie Christian und ich, sondern im Glockenhof Zürich, wo sie sich ein bescheidenes Mittagessen «ein Stück Apfelwähe» gegönnt haben. Sie sassen nicht am selben Tisch, mindestens 2 m Abstand, als mein Vater auf die wunderschöne junge Frau aufmerksam wurde. Er las die Zeitung und hat sich krampfhaft überlegt wie er ins Gespräch kommen könne. Er hat sie dann angesprochen, ob sie wisse wo der Vortrag von Pfarrer Niemöller (Pfarrer im deutschen Widerstand) stattfinde. Sie wusste es und er fragte dann einfach, ob sie nicht auch mitkommen wolle und sie wollte. Von da an haben sie wohl jede freie Minute zusammenverbracht. Allerdings hatten sie beide nur ein Zimmer mit äusserst strenger Aufsicht. Unter keinen Umständen war Herren- oder Damenbesuch gestattet. Also haben die beiden jeden schönen Ort in ganz Zürich kennengelernt, waren an Konzerten, Vorträgen, im Kino, in Museen und an Festen. Diesen Zauber habe ich sogar als Kind noch mitbekommen, als wir von Wettingen immer wieder nach Zürich gefahren sind und diese besonderen Orte abgeklappert haben. Sie haben sich Liebesbriefe geschrieben und mein Vater hat auch später noch weitergeschrieben, als längst Alltag eingekehrt war. Oft sah ich einen Liebesbrief für meine Mutter auf dem Frühstückstisch. Meine Mutter hat auch zeitlebens am 1. Mai ein Strauss Maierisli (Maiglöckchen) bekommen wie am 1. Mai 1955.
Heute früh habe ich gesehen, dass die Maierisli auch schon aus dem Boden kommen. Als Überbrückung schaue ich den Radiesli ein wenig beim Wachsen zu. Ich freue mich schon, wenn ich herzhaft in die rosa Knollen beissen kann und es so schön knackt. Das ist die aggressivere Variante der Farbe Rosa.
Linard Bardill sagt immer, dass nur Liebesgeschichten die Welt heilen können. Er singt selber auch viele Liebeslieder. Ja vielleicht sollten wir alle im Moment vor allem Liebesgeschichten lesen. Bitte schreibt mir doch, welche Liebesgeschichten ihr empfehlen könnt. Ich finde die Liebesgeschichten von Alex Capus ganz super, zum Beispiel Königskinder oder Leon und Louise. Die erste Liebesgeschichte, die ich als Teenager gelesen habe, war «Der rote Seidenschal» von Federica De Cesco. Ich war einfach hin und weg.
Ich wünsche euch auch in dieser schwierigen Zeit ein buntes Leben mit vielen verschiedenen Farben. Passt auf euch auf und seid sanft mit euch!