Archiv für den Monat: November 2020

Herbstmusik

Heute Sonntagmorgen bin ich in guter Stimmung, obwohl es regnet und Nebelschwaden eine klare Sicht aus dem Fenster verunmöglichen. Ich hatte guten Fairtrade-Kaffee (vom Claro-Laden in Möriken), Zopf (von unserem Mellinger Bäcker Häntze) und Aprikosenkonfitüre (selbstgemacht von Christian). Während unseres Frühstücks haben wir im Radio zum Reformationssonntag Bachkantaten gehört. Wir haben uns vorgenommen, öfter Musik zu hören. Mehrmals pro Tag schlechte Nachrichten aus aller Welt tut uns einfach nicht gut. Einmal pro Tag sich zu informieren würde genügen. Doch Nachrichten haben im Moment eine intensive Sogwirkung auf mich und ich kann mich ihnen fast nicht entziehen. Überall tauchen sie automatisch auf, vor allem auch in den sozialen Medien, und ich brauche eine willentliche Entscheidung, etwas Anderes zu machen.

Gestern stellten wir fest, dass wir viele unserer CDs schon lange nicht mehr gehört haben. Wir haben uns vorgenommen, pro Tag mindestens eine CD mit klassischer Musik zu hören. Gestern haben wir «Die vier Jahreszeiten» von Antonio Vivaldi aufgelegt. Das war sehr wohltuend, viele Stellen waren mir bekannt und ich möchte sie heute nochmals hören. Ich habe die Jahreszeiten in diesem Jahr auch in der Natur ganz bewusst wahrgenommen. Schon der Frühling während des Lockdowns war eine Offenbarung. War der Herbst schon immer so schön bunt und leuchtend wie er jetzt gerade ist?

Ich habe den Herbst auch als Kind ganz intensiv erlebt. Ich verbrachte die Herbstferien immer bei meiner Gotte auf der Abendsmatt, einem riesigen alten Haus mit Gästezimmern und Bauernhof. Das war ein Paradies. Ich bekam ein kleines Dachzimmer für mich, wo ich direkt in den Himmel sehen und die Wolken beobachten konnte. Es gab damals noch keine Handys und keine Computer. Meine Gotte hatte auch keinen Fernseher. Es gab Radio und einen Plattenspieler. Wir wurden am Sonntag mit klassischer Musik geweckt. Abends sassen wir in der grossen Stube mit Kachelofen. Wir haben geplaudert, auch gesungen, gespielt, es wurde vorgelesen, ein Tee getrunken, Handarbeiten gemacht und ein Bettmümpfeli verspeist. Es war einfach durch und durch gemütlich. Ich half auch in der Küche und wurde als «Fräulein Schneckenburger» bekannt, weil ich mit Begeisterung Schnecken aus Zopfteig formte. Ich rannte draussen herum, fand tolle Verstecke und half beim «Durlips» (Futterrübe) ernten.

So ein Cocktail an Sinneswahrnehmungen tut mir auch in dieser Pandemiezeit am besten. Oft bin ich aber blockiert, male mir voller Angst aus, was alles noch passieren könnte. Wenigstens kann ich als Fortschritt meine Gefühle von aussen beobachten und bin ihnen nicht vollständig ausgeliefert. Ich habe zum Beispiel ganz unterschiedliche Gefühle in einem Gespräch erlebt, als mir jemand von einem besonders schlimmen Corona-Fall erzählt hat. Es hat sich alles in mir zusammengezogen, Angst hat mir die Luft abgeschnürt und musste mir grosse Mühe geben, ruhig weiterzuatmen. Im gleichen Gespräch kamen wir auf die Liebe zu sprechen, in grösserem Zusammenhang und auch über den Tod hinaus. Es wurde weit, hell und warm in mir.

Die Herbstblätter auf dem Bild des Blogs wurden von einer jungen Frau aus Kanada gemalt und mir als Karte geschickt. Postcrossing bedeutet ihr wie auch mir sehr viel. Besonders wenn man noch selber zeichnet, von Hand schreibt und in den Postkarten herumwühlt, ist es auch ein sinnliches Erlebnis. Auch die Freude, mehrmals pro Tag zum Briefkasten zu gehen – meist kommt die Post bei uns erst nach 15 Uhr, aber vielleicht ist sie gerade heute doch früher. Diese junge Frau mit kleinen Kindern hat mir geschrieben, dass sie sehr unter der Pandemie leidet, sich isoliert fühlt und von ihrem normalen Support System abgeschnitten ist. Sie hat aber gemerkt, dass sie sich weniger deprimiert fühlt, wenn sie anderen eine Freude machen kann. Die Isolation trifft also nicht nur die Rentner. Ich habe mich sehr über die Karte gefreut.

Zum Schluss möchte ich noch das neueste Buch von Sibyl Schreiber und Steven Schneider empfehlen, das ich kürzlich gelesen habe. Es heisst «Nun sag, wie hast du’s mit der Liebe?» Das Buch kann ich nur empfehlen, weil ich vor dem Lesen nicht wusste wie unterschiedlich man Liebe auffassen kann. Es ist kein gekünsteltes oder moralisches Buch sondern authentisches Leben mit all seinen Facetten.

Wie geht es euch? Welche Musik oder auch Sinneswahrnehmungen könnt ihr empfehlen? Bleiben wir doch im Kontakt – und danke, dass es euch gibt.