Archiv für den Monat: März 2023

Claire

Im Moment erlebe ich weissen Winter in Schluein, obwohl ich schon auf bunten Frühling eingestellt war. Das Wetter ist ja immer wieder ganz anders als erwartet, erhofft oder befürchtet. Darum gibt es auch so viel zu diskutieren.

Ich habe ein tolles Buch von Christian zum Geburtstag bekommen, in dem das Wetter eine grosse Rolle spielt. Es ist ein neues Buch von Christine Thürmer und heisst «Auf 25 Wegen um die Welt». Christian und ich sind weit entfernt, irgendwann noch Langstreckenwanderer zu werden, aber es ist einfach so faszinierend die Berichte von Christine Thürmer zu lesen. Sie übernachtet meistens in der freien Natur und erlebt von brütender Hitze bis eisige Kälte einfach alles. Christine Thürmer schreibt auch regelmässig Tageseindrücke auf Facebook, wenn sie auf Wanderungen ist. Christian und ich verfolgen ihre Schilderungen meist schon vor dem Frühstück. Oft sind wir nach dem Lesen sehr dankbar für unser komfortables Leben und beobachten heute mit Freude das Schneetreiben aus dem Fenster.

Zu unserem komfortablen Leben gehört auch, dass wir wieder vermehrt kulturelle Veranstaltungen besuchen können. So haben wir seit längerer Pause wieder ein Abonnement von den Kulturanlässen in Niederwil gelöst, die in einem völlig veralteten und hinterwäldlerischen Schulhaussaal stattfinden. Die Atmosphäre dort ist einzigartig und wir haben schon am ersten Abend so viel gelacht wie schon lange nicht mehr. Das neue Solostück «Endlich» von Claire (Judith Bach) ist einfach grossartig. Sie erzählt so warmherzig von ihrer Oma Fritz und führt auch immer noch Gespräche mit ihr auf dem Friedhof in Berlin.

Ihr werdet es nicht glauben, aber ich habe auch einmal ein entscheidendes Gespräch mit meinem Grossvater Hans Signer auf dem Friedhof geführt. Im Auto auf dem Weg zur Beerdigung meines Grossvaters hatte ich die schlimmsten Angst-Zustände, konnte kaum atmen und dachte dass ich die ganze Trauerfeier nicht überleben werde. Als ich dann auf dem Friedhof stand war es, als ob der Grossvater mit mir reden würde: «Wir haben viel Zeit zusammen verbracht und viel Schönes erlebt. Du hast mir Freude gemacht. Denk dran, die Liebe geht nicht verloren und ist niemals vorbei. Du darfst traurig sein, aber du darfst auch wieder lachen.» Plötzlich konnte ich wieder atmen.

Es ist einfach köstlich, was Claire über ihre Oma Fritz zu erzählen weiss. Dank dem kaputten Motorrad von Oma Fritz, auf dem sie in Träumen die Welt bereist hatten, trifft Claire auch den Mechaniker Harry Davidson, einen ehemaliger Schulkollegen, wieder. Er flickt das Motorrad, während Claire eine Schallplatte immer wieder hört. Wir alle im Saal werden von den alten Schlagern dieser Schallplatte mitgerissen und vor allem bei Lied „ti amo“ singen alle mit. Leider hat die Platte Kratzer und springt immer wieder zum nächsten Lied. Claire spielt meisterhaft Klavier.

Wir haben auch einen Plattenspieler in Schluein und viele Schallplatten. Ich habe einige von meinen Eltern und Grosseltern geerbt und Christian hat sich klassische Schallplatten mit zwangsgewechseltem Geld in der DDR gekauft. Leider hören wir nicht mehr so oft Schallplatten. Es ist ja so anstrengend die Platten immer zu wenden. Radio ist einfacher. Wie haben wir gestaunt, dass die Grossnichten von Christian gar nicht mehr wussten was eine Schallplatte ist.

Wer wird mal unsere Schallplatten erben wollen? Claire hat einen Haufen Briefe geerbt von ihrer Oma, die auch noch auf dem Friedhof Verwirrung stiften.

Und wenn wir schon bei alten Briefen sind, möchte ich zum Abschluss noch ein Lieblingsbuch von mir empfehlen «Das glückliche Geheimnis» von Arno Geiger. Schon seine Bücher «Der alte König in seinem Exil» und auch «Unter der Drachenwand» haben mir sehr gut gefallen. Das glückliche Geheimnis ist vielleicht sein persönlichstes Buch. Arno Geiger hat jahrzehntelang ein Doppelleben geführt und Papiercontainer durchwühlt. Vom Finden und Wegwerfen handelt das Buch. Das Buch ist vielleicht nicht für alle geeignet, aber mir hat es gefallen. Es steckt so viel Weisheit drin.