Archiv für den Monat: Oktober 2015

Sanft schweben

Ich habe das Glück meine Winterreifen für unser Auto in einer kleinen Garage auf einem Bauernhof inmitten wunderbarer Landschaft montieren lassen zu können. In dieser Zeit der Montage habe ich am letzten Freitag einen erholsamen Waldspaziergang gemacht. Es war Hochnebel und die Sonne kam nicht wirklich durch, aber beinahe hätte sie es geschafft. Es kam mir in den Sinn, dass wir in unserem Leben manchmal auch eine Art Nebel (Leben rückwärts geschrieben, fällt mir grade auf) haben, der uns die klare Sicht in die Weite versperrt. Doch ich kann mich jederzeit an nahen Formen der Natur erfreuen, was mich von innen heraus glücklich macht. Ich konnte die vielen farbigen Laubbäume und dazwischen die dunkelgrünen Tannen beobachten, die sich teilweise fast zu umarmen schienen. Vögel hüpften im Laub herum. Eine wunderschöne grosse Rotkleeblüte fiel mir auf. Am besten aber gefiel mir das Fallen der Blätter. Die federleichten Blätter schwebten von einem leichten Wind bewegt ganz sanft auf den Boden. Fast habe ich es mit meinem iPhone filmen wollen, aber es lässt sich halt nicht alles festhalten. Es war ein magischer Moment. Loslassen und einfach nur SEIN. Dann kam wieder ein Gedanke. Gibt es nicht ein Gedicht von Rainer Maria Rilke über das Fallen der Blätter?

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Die Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
Unendlich sanft in seinen Händen hält.

Heute sind wir schnell nach Vevey am Genfersee gefahren mit dem GA, weil wir etwas abholen mussten, das nicht per Post geschickt werden konnte. Ich durfte wieder einmal Zug fahren und lesen, was mir ja so gut gefällt (übrigens lesen viele Leute im Zug, es ist gar nicht so, dass alle an ihren Handys rumdrücken). Ich konnte das Buch von Eveline Hasler „Mit dem letzten Schiff, Der gefährliche Auftrag von Varian Fry“ auf dieser Reise von Anfang bis Ende lesen und dabei auch die vorüberziehende Landschaft geniessen. Varian Fry rettete unter Einsatz seines Lebens fast 2000 Menschen, vor allem Künstler und Intellektuelle, vor den Nazis. Er war Amerikaner und sollte im Auftrag des Emergency Rescue Comittee eigentlich nur 200 berühmte Menschen retten. Er sah aber die Not und tat eigentlich viel mehr als ihm erlaubt war. Varian Fry arbeitete mit einem Team zusammen und beschäftigte auch einen 15-jährigen Botenjungen Justus Rosenberg. Dieser Junge konnte sich während des ganzen Krieges in Frankreich versteckt halten und ist erst nach dem Krieg nach USA ausgewandert. Eveline Hasler konnte Professor Justus Rosenberg in New York wiederfinden und hat von ihm Auskünfte aus erster Hand erhalten.

Was ich am Buch von Eveline Hasler bemerkenswert finde, dass sie in all dem Leid auch hoffnungsvolle Momente beschreibt. Es sind Menschen, die sich begegnen und einander helfen. Varian Fry ist auch gerne in der Natur und ein begnadeter Vogelbeobachter.

Wenn ich schon wieder beim Thema Natur gelandet bin, möchte ich unbedingt noch den Kinofilm „Schellenursli“ empfehlen. Ich finde ihn einfach grossartig. Die Geschichte des Bilderbuches ist auf eine gute Art und Weise erweitert worden und sehr spannend. Einige Bilder und Zeichnungen von Alois Carigiet erkennt man im Film wieder. Der Bezug zur ursprünglichen Geschichte ist klar gegeben. Alle Schauspieler spielen mit grosser Hingabe, vor allem auch die Kinder.

Geniesst den Herbst, die farbig fallenden Blätter, die Sonne und den Nebel, auch die warme Stube und ein gutes Buch.