Archiv für den Monat: Juli 2018

Völlig entspannt

Wie herrlich kann doch der Sommer sein! Ich sitze bei angenehmen 24 Grad in unserem Garten in Mellingen. Der Himmel ist tief blau und die Vögel zwitschern um mich herum. Gerade versucht eine Amsel irgendetwas aus unserem wilden Rasen heraus zu picken, vielleicht einen Wurm? Ein angenehmes Lüftchen fährt mir sanft über die Haut. Von weitem höre ich ein paar Menschen, die sich in angenehmer Stimmlage unterhalten. Jetzt verstummen sie wieder. Jetzt höre ich wie jemand Wasser in eine Giesskanne laufen lässt. Jetzt fangen die Glocken an zu läuten. 11 Uhr. Ob das jeden Tag so ist oder findet eine Beerdigung statt?

An einem der letzten Sommerabende haben wir das Freiluftkino in Baden besucht. Man hat dort eine wunderbare Aussicht auf dem obersten Stock des Parkhauses Gartenstrasse. Vor der Filmvorführung haben wir einen speziell guten Flammkuchen gehabt und ein kaltes Falkenbräu Baden dazu. Der Film WAJIB wurde uns wärmstens empfohlen und er hat uns wirklich sehr gut gefallen. Der Film ist auch am Filmfestival Locarno mehrfach ausgezeichnet worden. Der Film spielt in Nazareth und ist auf arabisch gesprochen mit deutschen Untertiteln. Der Architekt Shadi, der in Italien lebt, ist für die Hochzeit seiner Schwester Amal nach Nazareth zurückgekommen. Es ist Tradition, dass Shadi mit seinem Vater Abu Shadi die Einladungen für die Hochzeit an Verwandte, Freunde und Bekannte persönlich überbringen. Sie fahren mit einem alten Auto herum, haben die unglaublichsten Begegnungen und erleben ein Wechselbad der Gefühle.

Ich war auch in Nazareth. Das ist schon lange her. Ich vermute 1977. Damals war ich in den Sommerferien mit einer Jugendgruppe in einem Kibbuz in der Nähe von Nazareth. Es gab noch kein Handy und ich weiss gar nicht, ob ich irgendwelche Fotos habe. Doch ich habe Fotos in meinem Kopf und ich habe handgeschriebene Liebesbriefe von meinem heutigen Göttergatten. Er hat mir jeden Tag einen Brief ins Kibbuz geschrieben, um mir zu sagen wie sehr er mich vermisst. Wir haben im Kibbuz halbtags an verschiedenen Orten gearbeitet. Zum Beispiel habe ich im Baumwollfeld gejätet, Birnen gepflückt, Plastikteile für Bewässerungsanlagen aus der Maschine rausgenommen, im Speisesaal Tische geputzt. Ich habe damals meinen ersten türkischen Kaffee getrunken und den Kaffeesatz im Mund gehabt. Ausserdem habe ich die köstlichsten reifsten Grapefruits meines Lebens gegessen. Es gab auch ein Schwimmbad im Kibbuz und wir haben Ausflüge gemacht nach Nazareth, an den See Genezareth und am Schluss noch eine Reise über Jerusalem bis ans Tote und ans Rote Meer. Schnorcheln nach bunten Fischen im Roten Meer sehe ich alles in meinem Inneren. Wozu brauchen wir eigentlich ein Handy?

Bevor ich ganz in meine Erinnerungen abschweife, möchte ich euch gerne noch auf zwei besondere Kunst-Ausstellungen aufmerksam machen. Eile mit Weile heisst das Thema der diesjährigen Bad RagARTz. Im ganzen Ort mit Umgebung gibt es Kunstobjekte zu entdecken. Man kann diese Ausstellung nicht im Schnellzugstempo durchlaufen. Es braucht Zeit um zu sehen und zu verstehen. Die grossen gelben Schnecken fallen als erstes ins Auge. Ich mag Schnecken, vor allem die, die ihr Häuschen gleich mittragen. Ist doch praktisch, wenn man sich jederzeit ins Schneckenhäuschen verkriechen kann.

Bei der zweiten Ausstellung, die ich empfehlen möchte, konnte ich mich auch verkriechen, mitten in der Bahnhofhalle Zürich, im gigantischen «Gaia Mother Tree» von Ernesto Neto (geboren 1964 in Rio de Janeiro). Dieses Kunstwerk besteht aus einem gehäkeltem Netz aus gefärbten Baumwollstreifen, aus Baumwollstrick, Baumwollwattierung, verknoteten Baumwollstreifen, gemahlenen Gewürzen (Nelke, Kreuzkümmel, Kurkuma, schwarzer Pfeffer), Saatgut, Tontöpfen, Pflanzen, Kies, Erde, Bambusrohren, Sitzkissen, Holzmöbeln. Es ist schon von aussen herrlich anzusehen und innen drin einfach so was von schön und beruhigend. Wer hätte das gedacht, das ich mal völlig entspannt auf dem Boden der Bahnhofshalle liege, inmitten von Leuten, die täglich in diesem Bahnhof herumhetzen und einen Zug erwischen müssen, und vor mich hin träume und duftende Kräuter rieche.

Ich sitze immer noch im Garten. Eben ist ein Schmetterling vorbeigeflattert. Leben wir unseren Traum und geniessen wir das Leben, bevor für uns die Glocke läutet. Shalom!